Salvete, amici!
Lassen wir uns ein wenig von Nietzsches Worten über die horazische Ode leiten (Götzendämmerung, Was ich den Alten zu verdanken habe 1):
Dies Mosaik von Worten, wo jedes Wort als Klang, als Ort, als Begriff, nach rechts und links und über das Ganze hin seine Kraft ausströmt, dies minimum in Umfang und Zahl der Zeichen, dies damit erzielte maximum in der Energie der Zeichen - das Alles ist römisch und, wenn man mir glauben will, vornehm par excellence
Zur 1. Strophe:
Persicos ... apparatus] ausstrahlendes Kraftzentrum der 1. Strophe: „ein Maximum in der Energie der Zeichen“. Man denkt an die deliciae sumptuosae orientalischer Prachtentfaltung bei Gelagen: coronae operosae, odores, unguenta, servi, tibicinae, saltatrices... Horaz verschmäht (odi, displicent) diesen Aufwand, den er exemplarisch mit einem „minimum in Umfang und Zahl der Zeichen“ andeutet: „nexae philyra coronae“, „rosa sera“, eine seltene Kostbarkeit, nach der suchen zu lassen nur die Gemütsruhe stören könnte.
Zur 2. Strophe:
Simplici myrto] Die immergrüne simplex myrtus, zweimal in der Strophe an exponierter Stelle stehend, entspricht dem Streben des Dichters nach simplicitas, die einhergeht mit dem Sinn für das decorum („neque dedecet“; gr. πρέπον). (Das Problem, worauf nihil zu beziehen ist – nihil allabores oder nihil curo – soll hier nicht erörtert werden.)
me sub arta vite bibentem] Der Dichter trinkt nicht mit vielen anderen zusammen in einem prachtvollen Palast, sondern alleine für sich unter schattenspendendem Weinlaub: epikureisches, maßvolles Genießertum in knappster Form dargestellt: Genuss genügsamer Stille im Verborgenen. Man denkt an das berühmte Λάθε βιώσας.
Beiden Strophen ist gemeinsam die unmittelbare Anrede eines „Du“:
puer / minister] Der einzige Mensch, der dem Dichter aufwartet und von ihm, obwohl er Sklave ist, wie ein Gleichberechtigter angesprochen wird: neque te ministrum ... neque me ... bibentem. Am Ende des carmen offenbart sich hier der größtmögliche Abstand zu dem Prunk persischer convivia mitsamt dem dort üblichen gewaltigen Unterschied zwischen dominus und servi.
Der „Klang“, die gleichförmige metrische Gestalt des Gedichts (systema Sapphicum) entspricht dem Inhalt:
- u - - - / u u – u - ~
- u - - - / u u – u - ~
- u - - - / u u – u - ~
- u / u - ~
Zweiunddreißig Wörter: ein quantitatives minimum mit einem maximum an Aussagekraft. Welch ein Glück, dass uns solche Verse überliefert wurden! Haec hactenus.
Zum Abschluss vier Übersetzungen, die ich folgendem, irgendwann einmal antiquarisch erworbenem Buch entnehme:
“Die Oden und Epoden des Horaz für Freunde klassischer Bildung, besonders für die Primaner unserer Gymnasien bearbeitet von Dr. Hermann Menge, Kgl. Gymnasialdirektor a. D., vierte ... Auflage, Berlin 1910; S. 139 f.“ (Es handelt sich um den allen Lateinern bekannten Menge!)
(1) H. Menge
Des Zechers Schmuck.
Weg, mein Bursch, mit persischem Prunk! Ich hass’ ihn;
weg mit bastgeflochtenen Blumenkränzen!
Brauchst nicht nachzuforschen, wo spät ein Röslein
einsam noch blühe.
Künstle allzueifrig zu schlichter Myrte
nichts hinzu; denn weder dem Diener steht sie
übel, noch auch mir, wenn im Schatten dichter
Reben ich trinke.
(2) Ernst Günther
Im Spätsommer.
Ich hasse Perser Prunkgerät
und bastgewund’ne Blumenkränze;
drum forsche, Knabe, nicht, wo spät
noch eine Rose heimlich glänze!
Den Kranz der Myrte mag ich gern,
ihn sollst du ohne Zierrat geben:
er schmückt den Diener, schmückt den Herrn,
trink’ ich im Schatten dichter Reben.
(3) Edmund Bartsch
Der Myrtenkranz.
Ich hass’, o Knabe, alle Perserpracht;
nicht bunte Blumenkränze sollst du winden;
nicht mühe dich, ein Röslein aufzufinden,
das spät uns noch der milde Herbst gebracht.
Nimm Myrtenzweige! Künstle nichts hinein!
Das schlichte Grün nur soll im Haar dir glänzen,
und es genügt auch meine Stirn zu kränzen,
erlab’ ich unter Reben mich am Wein.
(4) Fr. van Hoffs
Einfachheit.
Fort mit eitler, welscher Pracht!
Fort mit Kränzen, bastumwunden!
Späh’ nicht lang in Herbstesstunden,
wo versteckt ein Röslein lacht!
Schlichte Myrte ziemet just
wie dem Schenken, so dem Zecher.
So kredenze mir den Becher,
so genieß’ ich seine Lust.
Wer wagt eine neue Übersetzung? (1910: "welsche Pracht"!)