Zur Quantität der Vokale im Lateinischen

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Zur Quantität der Vokale im Lateinischen

Beitragvon Procopius » So 22. Feb 2009, 00:56

Kann jemand bei folgendem Problem helfen: Warum ist das "e" in Augusteus (Augustus betreffend) lang (vgl. die Angaben bei Lewis/Short, Georges, OLD)?

Es gilt der Grundsatz: "Vocalis ante vocalem corripitur." Der Vokal, der vor einem anderen Vokal oder h steht, ist kurz. Von dieser Regel gibt es mehrere Ausnahmen, die man alle in Grammatiken und Metriken nachlesen kann, darunter diejenige, daß Vokale aus ursprünglich griechischen Wörtern lang sind, wenn sie dort Diphthongen oder langen Vokalen entsprechen: also langes "e" in Aristophaneus, Aeneas, dem Adjektiv Achilleus, Eos (Morgenröte).

Augusteus entspricht aber keinem griechischem Wort. Und soll trotzdem langes "e" haben? Sehr seltsam! Nach Menge (Wörterbuch) hängt es mit lat. augere zusammen.

Das gleiche Problem sehe ich übrigens auch im Neulateinischen. Alle sagen, wenn sie von einer Florentiner Handschrift reden, "codex Laurentianus vel Mediceus" und betonen das letzte "e". Aber im Italienischen heißt es - vom Lateinischen her gesehen - völlig korrekt: medíceo (Ton auf dem i). Der Name der bekannten Bibliothek ist also: La biblioteca medícea laurenziana (so ausdrücklich die Betonungsangabe in meinem italienischen Wörterbuch).

Allen, die mir dazu etwas sagen können, danke ich schon jetzt sehr herzlich.
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Re: Zur Quantität der Vokale im Lateinischen

Beitragvon Laptop » So 22. Feb 2009, 03:06

Mal ehrlich, wer merkt sich solche Quantitäten nach Merkregeln und Ausnahmeregeln? Im Grund hat mans mal richtig gehört und so hat man es dann im Kopf und auf der Zunge. Das e in Augusteus ist ein Stammvokal, das -us nur eine Endung, daher zählt dieses Anhängsel nicht voll wie ein "folgender Vokal".
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Augustéus

Beitragvon consus » So 22. Feb 2009, 11:54

Consus Procopio s. p. d.
Quod ad quaestionem tuam pertinet, verba Raphaelis Kühner et Friderici Holzweissig (vol. I, p. 997) haec sunt:
... –éu-s = -ειο-Ï‚ in griechischen Wörtern, als: ... Epicur-éus ..., auch von Augustus Augustéus später statt des klass. Augustus....
Apparet ergo August-éus adiectivum κατ’ αναλογίαν formatum esse. Cf. Dio Cassius 21, 20: Αυγούστειος (cf. Liddell-Scott); neque é vocalis producta pertinet ad vocem primigeniam Augusti: Augusto-.
Bene et feliciter vale.
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Re: Zur Quantität der Vokale im Lateinischen

Beitragvon Tiberis » So 22. Feb 2009, 12:32

Augusteus entspricht aber keinem griechischem Wort. Und soll trotzdem langes "e" haben? Sehr seltsam! Nach Menge (Wörterbuch) hängt es mit lat. augere zusammen.

Augusteus scheint offensichtlich ein einzelfall und somit eine ausnahme zu sein. gut möglich, dass das lange e seine quantität griechischem einfluss verdankt, zumal das "eigentliche" zu Augustus gehörende adjektiv ja "Augustus,-a,-um" lautet (z.b. pax Augusta)

(wieder einmal war Consus schneller :D ; wie aus seinen ausführungen hervorgeht, habe ich anscheinend richtig vermutet..)
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Re: Zur Quantität der Vokale im Lateinischen

Beitragvon consus » So 22. Feb 2009, 14:10

Nebenbemerkung:
Oft hört man Herculanéum :x statt des korrekten Herculáneum.
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Re: Zur Quantität der Vokale im Lateinischen

Beitragvon RM » So 22. Feb 2009, 14:24

choréa, Caesaréa, Aenéas, Alexandréa, Agláus, Achilléus, ...
Es gibt schon ein paar Wörter weitgehend griechischen Ursprungs mit einem langen Vokal vor der Endung. So selten war's nicht.
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Tiberéum

Beitragvon consus » So 22. Feb 2009, 21:21

Salve, Procopi.
Plinius in XXXVI naturalis historiae (§ 55) de marmorum generibus:
sicut et Augustéum ac deinde Tiberéum
Quae verba tibi nota esse pro certo habeo (cf. OLD).
:)
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Re: Zur Quantität der Vokale im Lateinischen

Beitragvon RM » So 22. Feb 2009, 22:09

Tja, was ein Pech, daß Plinius keine Akzente oder Vokallängen notiert hat ... :wink:

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Re: Zur Quantität der Vokale im Lateinischen

Beitragvon Tiberis » So 22. Feb 2009, 23:02

sicut et Augustéum ac deinde Tiberéum


laut Georges sollte es aber Tibéreum heißen (unter bezug auf die zitierte stelle).
quid ergo?
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Re: Zur Quantität der Vokale im Lateinischen

Beitragvon RM » So 22. Feb 2009, 23:16

Ich habe auch nachgeschaut und glaube, Georges wußte es selbst nicht so genau ...
Aber woher wissen wir eigentlich, ob das e von Augusteus lang ist? Bei den handelsüblichen Dichtern taucht das Wort wohl nicht auf.

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Re: Zur Quantität der Vokale im Lateinischen

Beitragvon consus » So 22. Feb 2009, 23:25

Servus, Tiberis.
Auch der Lewis-Short liest eine kurzes e in Tibereus. Ich halte allerdings die Deutung im OLD (s.v. Tiberéus) für überzeugender, da inschriftliche Belege aus Korinth angeführt werden (Inscr. Corinth. 8 [2]. 82 und 8 [3]. 156). Da heißt es
... TIBEREON CLAVDIEON CAESA<REON SEBA>STEON ... bzw. ... TIBEREON AVGV<STEON> CAESAREON ... (Analogie zu CAESARÉON < KAIΣÁPEION [bei Strabo bzw. Dio Cassius]; CAESARÉA < KAIΣÁPEIA, also lat. –é- < griech. –ει-. ).
Zu RMs Frage: s. meinen ersten Beitrag oben.
Bonam noctem.
:)
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Re: Zur Quantität der Vokale im Lateinischen

Beitragvon RM » Mo 23. Feb 2009, 00:05

Griechisches als Beweis für etwas Lateinisches anzuführen, ist immer gefährlich - das kann stimmen, muß aber nicht. Ich hätte da gern etwas Handfestes.
Z.B. tauchen Formen des höchst interessanten Adjektivs "Caesareus" des Öfteren bei Martial auf. So, jetzt findet mal heraus, ob des e darin kurz oder lang ist :wink:

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Re: Zur Quantität der Vokale im Lateinischen

Beitragvon consus » Mo 23. Feb 2009, 00:16

Bitte keine Umkehrung der Beweislast. 8)
Nur so viel hier: Es gibt selbstverständlich Adjektive mit der Endung –eus (mit kurzem e), welche der griech. Endung –εος entspricht (Caesár-eus Kühner-Holzweissig I S. 997). Man muss die einzelnen Textstellen genau untersuchen und die Bedeutung des Wortes ermitteln..
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Re: Zur Quantität der Vokale im Lateinischen

Beitragvon RM » Mo 23. Feb 2009, 00:41

Beweislast, welche Beweislast? Im Moment handelt es sich eher um eine "Vermutungslast", aber da das Beispiel CAESAREON auch in der zitierten Inschrift vorkommt, hätte ich jetzt schon gerne gewußt, warum Caesareus bei Martial, Ovid etc. nachweislich ein kurzes e hatte. :?

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Re: Zur Quantität der Vokale im Lateinischen

Beitragvon Procopius » Mo 23. Feb 2009, 00:54

Liebe Freunde,

ich danke allen, die bis jetzt geantwortet haben, und bin voller Freude über die Diskussion, die ich ausgelöst habe. In den nächsten Tagen werde ich antworten. Heute - kurz vor Mitternacht - schaffe ich es nicht mehr. Beim ersten Durchlesen schien mir, was Consus schreibt, sehr überzeugend.

Euch allen eine erholsame Nacht :suche:
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