Ovid

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Ovid

Beitragvon marcus03 » Do 30. Mai 2019, 06:53

territaque insisto propiori margine fontis.

https://books.google.de/books?id=KyISDA ... is&f=false


Wie ist propiori grammatisch zu verstehen und zu übersetzen? Die Oxfortausgabe hat propiori (lectio difficilior?),
es gibt aber auch die Lesart propioris. Statt fontis findet sich auch ripae.

Gratias praemitto.
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Re: Ovid

Beitragvon Medicus domesticus » Do 30. Mai 2019, 10:17

Der bekannte Altphilologe Georg Luck schrieb hier 2009:
Luck, Georg. “More Missing Letters in Ovid's ‘Metamorphoses.’” Museum Helveticum, vol. 66, no. 2, 2009, pp. 88–119. JSTOR, http://www.jstor.org/stable/44079543

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Re: Ovid

Beitragvon marcus03 » Do 30. Mai 2019, 10:56

Gratias tibi ago maximas.
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Re: Ovid

Beitragvon Prudentius » Do 30. Mai 2019, 16:03

territaque insisto propiori margine fontis.

marcus03 hat geschrieben:Wie ist propiori grammatisch zu verstehen und zu übersetzen?


Als Attribut zu margine, mit prädikativem Sinn, "am Ufer, wo es noch näher am Rande ist"; im D. am besten mit Adverb: "Erschrocken bleibe ich näher am Rande des Wassers stehen" oder "ganz nahe am Rande".

Dieser doppelte Gebrauch der Steigerungsformen wie bei "Puellae primae adveniunt", entweder "die ersten Mädchen" oder "die Mädchen kommen zuerst an".

fontis, poetische Metonymie für aquae.

Ich sehe eigentlich keinen Bedarf, dass wir dem Wortlaut est einen Sinn geben sollten.
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Re: Ovid

Beitragvon marcus03 » Do 30. Mai 2019, 16:13

Prudentius hat geschrieben:Als Attribut zu margine

Das ist grammatisch nicht möglich, der Ablativ müsste propiore lauten. :?
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Re: Ovid

Beitragvon Prudentius » Fr 31. Mai 2019, 07:32

Aber ab Kant möglich :-D : a priori, a posteriori!
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Re: Ovid

Beitragvon marcus03 » Fr 31. Mai 2019, 08:00

Quod licet Kantio, non licuit Nasoni. ;-)

Für mich ist der Dativ nicht unterzukriegen. Er macht keinen Sinn.
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Re: Ovid

Beitragvon Prudentius » Fr 31. Mai 2019, 10:32

Es ist doch Unfug anzunehmen, dass Ovid hier betonen will, dass sie nahe an das diesseitige Ufer herantreten will (wie sollte sie denn an das jenseitige herantreten?)

Das propiori muss kongruent mit margine sein; da gibt es zwei Möglichkeiten, entweder Ovid konnte sich die Lizenz leisten, oder der Schreiber hat einen Fehler gemacht.
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Re: Ovid

Beitragvon marcus03 » Fr 31. Mai 2019, 10:48

Prudentius hat geschrieben:da gibt es zwei Möglichkeiten, entweder Ovid konnte sich die Lizenz leisten, oder der Schreiber hat einen Fehler gemacht.


Da es keine Belege für einen Ablativ propiori in der Antike gibt, kann es m.E. nur ein Abschreibfehler sein, der sich fortgepflanzt hat.
https://latin.packhum.org/concordance?q=propiori%23
https://latin.packhum.org/concordance?q=propiore%23
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Re: Ovid

Beitragvon Zythophilus » Fr 31. Mai 2019, 18:15

Die Form propiore passt an dieser Stelle auf keinen Fall, da die letzte Silbe lang sein muss. Die Ergänzung zu propioris erscheint mir am sinnvollsten. Der Fluss hat natürlich zwei Ufer; Arethusa steigt auf das nähere Ufer, was verständlich ist, aber, da sie beim Schwimmen abgetrieben worden ist, sind die Kleider auf dem anderen Ufer (s. v. 601s. altera vestes/ ripa meas habuit). Das gehört zur Erklärung, warum sie nackt ist, ein Aspekt, der Ovid wichtig ist. Eine anständige Nymphe hätte sich, wenn das Gewand verfügbar gewesen wäre, vor der Flucht angezogen.
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Re: Ovid

Beitragvon Zythophilus » Fr 31. Mai 2019, 18:24

Ein Variante fällt mir noch ein propiori … ripae ist Dativ, der zum Verb insistere gut passt, und das propiori wird vom Ablativ näher bestimmt. Überzeugt bin ich nicht, aber etwa "das durch den Rand nähere Ufer" wäre nicht undenkbar.
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Re: Ovid

Beitragvon Medicus domesticus » Fr 31. Mai 2019, 19:27

Ich meine, dass die Gedanken Lucks, der sich schon als Prof. sehr ausführlich mit Ovid u.a.beschäftigt hat, überzeugend sind. Einem Prof., dem ich vertraue :D
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Re: Ovid

Beitragvon Tiberis » Fr 31. Mai 2019, 23:35

Medicus domesticus hat geschrieben:Einem Prof., dem ich vertraue

Vertrauen ist gut, selbst nachdenken ist besser. :D
Wenn man sich die Situation der Arethusa vorstellt, wird man vielleicht an der Lesart "propioris margine fontis" zweifeln , denn dass "näher" sich auf das Ufer bezieht und nicht auf das Wasser, ist wohl unstrittig. Möglich wäre allerdings, die o.a. Wortfolge als Hypallage anzusehen.. :roll:
Die Hss., in welchen ripae statt fontis steht, haben auch propioris (statt propiori). propioris margine ripae erscheint mir, v.a. im Hinblick auf v.601f (altera ripa), als die plausibelste Variante.
In meiner Teubnerausgabe (ed.W.S.Anderson, 1983) steht jedoch das strittige propiori (propiori margine fontis), woraus geschlossen werden kann, dass es sich trotz der ungewöhnlichen Endung -i hier eben doch um einen Ablativ handelt bzw. dass propiori als Abl. verstanden werden soll.
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Re: Ovid

Beitragvon marcus03 » Sa 1. Jun 2019, 05:48

Tiberis hat geschrieben:hier eben doch um einen Ablativ handelt bzw. dass propiori als Abl. verstanden werden soll.

Ovid verwendet aber diesen Abl. sonst nie:
https://latin.packhum.org/concordance?q ... re%5BOv%5D

Warum sollte er ihn an dieser Stelle verwenden? :?
Warum sollte es sich nicht um einen Abschreibfehler handeln, die einfachste und wohl naheliegendste Erklärung?
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Re: Ovid

Beitragvon Medicus domesticus » Sa 1. Jun 2019, 07:44

Tiberis hat geschrieben:Vertrauen ist gut, selbst nachdenken ist besser.

Papers und Artikel in solchen Zeitschriften werden ja deswegen geschrieben, damit nicht jeder das Rad neu erfinden muß. Luck präsentiert genau den plausibelsten Gedankengang, kurz und bündig. Gedanken kann sich jeder trotzdem dazu machen. In der Latinistik wurde über einiges schon längst geschrieben.
TLL unter propior (wie Luck angibt):
abl.sing. -i non trad. nisi falsa var. l. Ov. met. 5,598 ...
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