hat geschrieben:In einer eisigen Silvesternacht um 2 Uhr ( die Raketen und Kanonenschläge waren schon lange
verhallt ), traten fast gleichzeitig 2 Männer aus 2 verschiedenen, gemütlichen Kneipen, in
verschiedenen Straßen, doch waren beide Männer in lange, derbe Pelzmäntel gehüllt, und beide
hatten einen Zylinder auf dem Kopf und einen Schal aus Biberfell um den Hals gelegt.
Langsamen Schrittes setzten sich die Männer in Bewegung, scheinbar ohne bestimmtes Ziel... .
Sie bogen um die nächsten Straßenecken der alten Stadt, und plötzlich zog jeder der beiden Männer
ein Pergament und eine Pfeife hervor.
„Die Zeit ist wieder gekommen...“ sagten beide leise zu sich selbst, als plötzlich, in einer langen
Nebenstraße, jeder die Silhouette des anderen am anderen Ende der Straße bemerkte.
Sie gingen aufeinander zu, gemessenen Schrittes..
L.: „...Es ist....“
T.: „...lange her....“
L.: „Was schlägst Du vor ?“
T.: „Vielleicht dort drüben, in dem Winkel zwischen den Häusern ? Die...“
L.: „..Mauern werden die Kälte fernhalten, während wir die Texte...“
T.: „So sei es...Der Mond spendet genügend Licht.“
L schob seinen Zylinder ein wenig in den Nacken, so dass seine hohe ungebräunte Stirn zu sehen war, zog an den Enden seines Biberfellschales, so dass sie wie Traggurte von seinen Schultern hingen, öffnete ein wenig seinen Pelzmantel - ein Geschenk seiner Frau - und ...
T hob die Hand: "warte, ist das immer noch derselbe Mantel, den deine Frau aus dem Fell des Mufflon hat fertigen lassen, den wir damals - du warst in meinem Hause ja mal Gast - vom Hochsitz aus geschossen haben?"
L : "ja, er ist es; ich habe mich so an ihn gewöhnt, ich liebe ihn förmlich. Ach ja Liebe, Zuneigung, Anerkennung, Toleranz... woran hat es bloss gelegen... warum dieser Streit?"
T: "Streit? welcher Streit? Ich sehe es als Wettkampf? Du alter deutscher Dickschädel, warum bist du immer so genau und nimmst jeden freundschaftlichen Rat als böse Kritik? Aber weiter..."
T. schweigt und schaut mit blitzenden Augen auf die Hände seines Gegegenüber; "Handschuhe - so ein Weichling aus dem Regen reichen Norden - Handschuhe? - und ich Alpenbewohner trage nicht einmal im tiefsten Winter Handschuhe" und er schaut auf seine vom Wetter gebräunten Hände.
L. zieht den Handschuh von der Rechten und fasst in den Mantel. Das Pergament war schon ziemlich verknittert; es zeigte deutlich Arbeitsspuren. : "Hier habe ich meinen Text - bist du nun zufrieden?"
T. "Auch du, mein lieber L.; auch du hast ihn fertig! Schau meinen, auch er ist ein wenig zerknittert, nicht wegen der Korrekturen, nein - wegen der langen Reise. Du sagtest zwar, dass es zu dir immer bergab gehe, es also ziemlich leicht sei für mich; dass hier so wenig Schnee liegt, das hättest du mir vorher sagen sollen. Deswegen habe ich meine Skier bei Ebay versteigert und ein Bahnticket genommen. Aber was solls! He - sei vorsichtig mit der Pfeife, sie mag zwar ein bischen wärmen, aber die Funken könnten die Texte verderben."
L. "Geht es schon los mit der Kritik? Aber wir wollen mal alle Fünfe gerade sein lassen - es ist ja der 1. Tag im Neuen Jahr, vielleicht ein Beginn für weitere Zusammenarbeit. Komm. lass uns zu dem Haus dort gehen; aus dem Fenster scheint noch Licht, das Mondlicht lässt ein Lesen nicht zu."
T stimmt zu und beide gehen über das Kopfsteinpflaster zum Haus; ihre Stiefel erzeugen bei jedem Schritt einen dumpfen Ton. Sie bemerken eine Bank vor dem Haus und setzen sich.
Beide halten ihre Pergamente vor das Gesicht, damit das Licht aus dem Haus besser auf den Text fallen kann und murmeln in lateinischer Sprache vor sich hin. Die Vorübergehenden schauen verwundert auf die beiden, lauschen der fremden Sprache und gehen eilenden Schrittes davon. Beide lesen mit murmelnder Stimme, der Mond wird zwischenzeitlich von Wolken verdeckt.
Plötzlich - wie aus dem Nichts - Lärm, Geschrei, Autos, Blaulicht, Polizei...
L. + T. sind umringt von finsteren Personen und werden in Handschellen gelegt, bevor sie überhaupt ihre deutsche Sprache wiederfinden konnten - so blitzartig war diese Aktion.
Das Licht im Hause verlosch, Scheinwerfer wurden auf beide gerichtet und die Haustüre öffnete sich... "Haben wir euch endlich! Ihr seit die ewig gestrigen, ihr seid die Quäler unserer Kinder, nun sollt auch ihr schmoren!!!
Da erscchien die Frau des Hausbesitzers ein Tablett in der Hand mit Glühwein: "Na - haben wir euch erschreckt, ihr Lateiner? Löst ihnen die Fesseln, wie sollen sie sonst den Glühwein trinken, Prost und kommt mit rein. Das Kaminfeuer wird euch wärmen und am Tisch könnt ihr eure Korrekturen vornehmen - das wollt ihr doch wieder einmal - oder? Ich kenne euch doch, dieser ewige Wettstreit. Ich werde der Schiedrichter sein."
Die Jalousie verdunkelte das Fenster, die Umherstehenden aber wussten genau, morgen kurz nach Sonnenaufgang, vor der Stadt auf der großen Wiese, da gibts die Schnellballschlacht: wer der bessere ist darf anfangen - wie jedes Jahr - und der Verlierer muss für den Wettstreit im nächsten Jahr sorgen...
....
.....