Praeens

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Re: Praeens

Beitragvon Laptop » Mo 13. Aug 2012, 00:10

Wieso Schwundstufe, bis auf den Infinitiv esse, sind sogut wie alle Formen von esse verkümmerte Lautungen. So degenerierte *essens zu ens, genauso wie *essum zu sum, *essunt zu sunt, etc. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß eine Wortschöpfung aus dem 12. Jhd. Eingang in den ital. Grundwortschatz gefunden hätte. Das Wort muß älter sein.
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Re: Praeens

Beitragvon RM » Mo 13. Aug 2012, 01:59

Um die Frage nach Belegen für "ens" zu beantworten, hätte natürlich auch ein kurzer Blick in den Georges gelangt - auch das 's' in praesens wird dort erklärt (gehört lt. Georges zu 'praes', das bei Plautus Pers. 288 zu finden sei: 'praes est' (in anderen Ausgaben allerdings 'praestost'), auch das 's' in absens ließe sich so erklären. 'sons' kommt wohl nicht von esse.
Was aber das italienische Vokabular angeht, so ließe sich sicher einiges aufspüren, das sich erst im Hochmittelalter in den Grundwortschatz hineingeschlichen hat.

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Re: Praeens

Beitragvon Zythophilus » Mo 13. Aug 2012, 13:30

ens alleine ist de facto eigentlich eine falsch gebildete Form, da es ja nur das an nichts angehängte Kennzeichen des Präsenspartizips ist. Daher sehe ich auch absens und praesens jeweils als ab-sens und prae-sens. Wieso auf einmal das s zum ab gehören, während es bei absum und allen weiteren mit s beginnden Formen von esse natürlich zu dieser Form gehört? Bei einer Form ens, und nicht sens wäre wohl auch eher ein praedens zu erwarten.
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Re: Praeens

Beitragvon RM » Mo 13. Aug 2012, 19:15

Zythophilus hat geschrieben:ens alleine ist de facto eigentlich eine falsch gebildete Form ...

Hmmmm ... ich halte es für sehr gewagt, Quintilian - und vielleicht sogar Caesar - vorzuwerfen, er verwende eine "falsch gebildete Form". Gegen "sens" spricht, dass nach lateinischer Logik es dann nicht "potens" sondern "pot-sens"->"possens" hätte heißen müssen, tut's aber nicht.
Die Bildung "praed-" vor Vokal sehe ich jetzt nicht, allerdings ist es bei "praes-" natürlich dasselbe.

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Re: Praeens

Beitragvon Zythophilus » Mo 13. Aug 2012, 20:01

ens ist natürlich eine brauchbare Form, die sich freilich in der Antike nicht einmal annähernd durchsetzen konnte. Die Einführung von sens hätte zu Verwechslungen mit Formen von sentio 4 führen können.
Was eine praedens betrifft, ist mir da etwas durcheinander geraten, doch ein absens ist nicht als abs +ens zu erklären, wenn man Formen wie abes und absum vor sich hat. potens ist zwar das Präsenspartizip zu posse, wird aber dennoch vom sonst nur im Perfektstamm vorhandenen Verb poteo 2 hergeleitet.
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Re: Praeens

Beitragvon marcus03 » Mo 13. Aug 2012, 20:06

Anm.:
In meinem Lateinunterricht wurde u.a. gesagt,man könne sich bei Nominalphrasen wie
"Caesare auctore" ein "ente" dazudenken: wobei
"Caesar Führer ist /war ". Dadurch fällt diese Konstruktion ganz in den Bereich des Abl.abs.
Es handele sich um einen "verkürzten" Abl.abs.
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Re: Praeens

Beitragvon Zythophilus » Mo 13. Aug 2012, 20:30

Sich ein ente dazuzudenken, ist als Hilfe für den Lernenden durchaus sinnvoll, der Römer brauchte oder wollte es offenbar nicht.
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Re: Praeens

Beitragvon Zythophilus » Di 14. Aug 2012, 08:51

Caesar eroberte Gallien und besiegte Pompeius im Bürgerkrieg. An der Einführung von ens scheiterte aber kläglich.
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Re: Praeens

Beitragvon Zythophilus » Di 14. Aug 2012, 09:03

Gallia uicta tibi est. Pompeius tradidit arma,
ast „ens“, magne, tuum non placuisse doles.
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Re: Praeens

Beitragvon Medicus domesticus » Di 14. Aug 2012, 09:39

Dass nicht alle Vorschläge von Caesar durchgegangen sind, ist ja möglich, aber es ist vieles durchgegangen. De Analogia würde uns da viel zeigen (auch Cicero lobt ihn dafür; Brut. 72,253), aber wir haben nur Fragmente der 2 Bücher. Caesar hat da sehr viel zur Normierung des Lateinischen geleistet und im "Durcheinander" der Formen ausgeräumt.
Tiberis hat geschrieben: (s. Iulii Caesaris de analogia lib.II fragm. p.757 Nipperd.) ..."

Die Caesarausgabe ist im Internet vorhanden und zeigt im Kapitel Fragmente eine Zusammenstellung der Fragmente von De Analogia (ab 752 ff.)
http://books.google.de/books?id=5AE9AAA ... &q&f=false
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Re: Praeens

Beitragvon Zythophilus » Di 14. Aug 2012, 10:11

Caesars Schrift De analogia wurde durchaus geschätzt; dennoch ist das Werk verloren.
Ein verwendbares Präsenspartizip von esse hätte bestimmt Vorteile gehabt, doch setzte es sich eben nicht durch.
Stutzig macht mich freilich, dass die Zuschreibung an Caesar erst bei Priscian erfolgt. Quintilian, der zeitlich viel näher an Caesar ist und ihn in seinen Institutiones sehr oft erwähnt, nennt einen anderen "Erfinder".
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Re: es-se

Beitragvon Prudentius » Di 14. Aug 2012, 10:28

Hallo Laptop,

sogut wie alle Formen von esse verkümmerte Lautungen. So degenerierte *essens zu ens, genauso wie *essum zu sum,


das kann man nicht sagen, das ist die ganz reguläre Formenvielfalt der Verbalflexion, da ist nichts verkümmert oder degeneriert, die Infinivendung von es-se ist genauso normal wie die von lauda-re, das s wird eben lautgesetzlich zu r; dass es ursprünglich -se lautete, siehtst du auch an fuis-se.

So degenerierte *essens zu ens


das kann nicht sein, du bildest ja hier das PPA vom Infiniiv es-se aus, aber es heißt auch nicht laudarens, sondern lauda-ns!
Auch dein *essum enthält mit dem zweiten s einen Bestandteil des Infinitivs, das ist nicht richtig, es heißt ja auch nicht laudaro, sondern laudo.

Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß eine Wortschöpfung aus dem 12. Jhd. Eingang in den ital. Grundwortschatz gefunden hätte.


Ja, darüber kann man sich Gedanken machen. Thomas von Aquin führte im 13. Jh. in Paris den Aristotelismus ein, er hatte einen sprachkundigen Helfer, seinen Mitbruder Wilhelm von Moerbeke, der ihm den Aristoteles ins L. übersetzte, vielleicht hat er das ens eingeführt, auf jeden Fall verwendete er es in seinem Aristoteles Latinus.

Ich möchte dazu noch zwei Gesichtspunkte anführen:

- Thomas wurde zum Standardmodell der Theologie, alle Theologen wurden danach ausgebildet, und diese bildeten die führende Schicht des Geisteslebens; selbst Machiavelli, noch heute sprichwörtlich als Machttheoretiker, war ein Priester.

- das ens ist ja bei weitem nicht das einzige Erbe, das uns die Scholastik des Hochmittelalters hinterlassen hat, man kann ein ganzes Register von bis heute vielgebrauchten Termini zusammenstellen: Substanz, Subjekt, Objekt, Materie, Essenz, Akzidens, konkret/abstrakt, generell/speziell, Realität, Individuum usw., alles ist lateinisch, aber nicht von besonders guter Latinität, es sind Schreibtischkonstruktionen, man kann sich gut Wilhelm von M. vorstellen, mit dem Aristoteles-Original vor sich und in der Verlegenheit, bisher Ungesagtes lateinisch sagen zu müssen,

Gruß P. :)
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Re: Praeens

Beitragvon Laptop » Di 14. Aug 2012, 13:04

@Prudentius Es gab mal eine Diskussion darüber, ob ‘essere’ eine frühe Form von ‘esse’ war. Damit entspricht ‘esse-’ genau dem Stamm ‘lauda-’.
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Re: Praeens

Beitragvon Zythophilus » Di 14. Aug 2012, 14:18

Laptop hat geschrieben:Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß eine Wortschöpfung aus dem 12. Jhd. Eingang in den ital. Grundwortschatz gefunden hätte.

Romanische Sprachen waren nicht einfach als etwas Fertiges vorhanden. Sie benötigten einen langen Prozess, während dessen die Sprachen normiert worden, sodass eine mehr oder weniger einheitliche Hochsprache entstand. Viele Begriffe, die vorher nicht verwendet wurden, wurden erst später in einer Art zweitem Schritt aus dem Lateinischen übernommen, und da ist nicht so verwunderlich, dass ein erst relativ spät verwendeter lat. Begriff ins Italienische kommt, wo im Laufe der Zeit ein eher "alltägliches" Wort daraus wird.
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Re: Praeens

Beitragvon Prudentius » Mi 15. Aug 2012, 10:53

dass nach lateinischer Logik es dann nicht "potens" sondern "pot-sens"->"possens" hätte heißen müssen, tut's aber nicht.


@RM, bei posse ist ja das Perf. potui offensichtlich von einem e-Verb *potere abgeleitet, Muster debere debui. Dann wäre potens ganz regulär gebildet, also nicht mit esse zu verbinden.
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