von Willimox » Fr 17. Jan 2020, 14:17
Das ist gewiss richtig, was Du über diese Positionsstruktur sagst, optime!
Immerhin kann man doch die Bandbreitenthese recht gut halten:
Die Negationsstruktur der Litotes zielt auf eine unnegierte, "positive" Denotation. Man vergleiche etwa im klassischen Griechisch diese Charakteristik von Achilles durch Zeus:
"οὔτε γάρ ἐστ’ ἄφρων οὔτ’ ἄσκοπος οὔτ’ ἀλιτήμων,
ἀλλὰ μάλ’ ἐνδυκέως ἱκέτεω πεφιδήσεται ἀνδρός." (Buch 24, 156).
(Er ist ja nicht vernunftlos, noch unbedacht, noch ein Frevler.)
Oder hier klassisch-lateinische Belege bei Michael Bradtke, der allerdings die negativen und elativen Valenzen kaum berücksichtigt:
Catull. 13,3 f.: si tecum attuleris bonam atque magnam / cenam, non sine candida puella – wenn du ein gutes und üppiges Mahl nicht ohne ein schönes Mädchen mitbringst. Statt: cum. Cic. S. Rosc. 154: vestrum nemo est, quin intellegat populum Romanum … hoc tempore domestica crudelitate laborare – Es gibt niemanden bei euch, der nicht einsieht, dass das römische Volk … jetzt an Grausamkeit gegenüber seinen eigenen Bürgern krankt. Statt: vestrum quisque intellegat. Mart. 12,88,1: Tongilianus habet nasum: scio, non nego – Tongilianus hat eine Nase: Ich weiß, ich leugne es nicht.
Die Interpretation der Negation kann jedoch vom aktuellen Kontext im Text abhängen, zusätzlich spielt hier auch oft der kulturelle Kontext herein. Auch Intonation und Betonung steuern das Verstehen; so kann beispielsweise das Syntagma "nicht schlecht" unterschiedlich intoniert werden, so dass er entweder "mittelmäßig" oder "ausgezeichnet" bedeutet.
In ähnlicher Weise können Negationskomplexe als Euphemismus verwendet werden, um die Härte einer Beobachtung zu verringern; "Er ist nicht die ordentlichste Person, die ich kenne" könnte als Mittel benutzt werden, um anzuzeigen, dass jemand eine (ziemlich) chaotische Person ist.
Vale
Thras.
"alis nil gravius" (Nycticorax)