beim verb esse gibt es bekanntlich zwei stämme : es und s.
ich würde lieber sagen,
einen Stamm mit Vollstufe es- und Schwundstufe s-,
Bei der Flexion werden drei Formen von der vollen und drei von der reduzierten Stufe gebildet;
bei den schwundstufigen Formen wird noch der Thema- oder Binde-Vokal zwischengeschaltet; also
thematisch: s-u-m, s-u-mus, s-u-nt,
athematisch es(-s), es-t, es-tis (es du bist müsste eigentlich mit zwei s geschrieben werden),
dann gibt es auch die vollstufige thematische Form: "er-i-t" usw., für das Futur, aus es-i-t, zwischenvokalisches s wird zu r.
Das ens ist m.E. eine künstliche Wortbildung aus der Scholastik des Mittelalters, diese erlebte im 12. Jh. eine Blütezeit, vor allem an der Pariser Universität, Thomas von Aquin ist der berühmteste, damals gab es einen denkwürdigen Wechsel der Orientierungsrichtung, man führte den Aristotelismus ein und löste das bis dahin vorherrschende Modell des Augustinusmus/Neuplatonismus ab, das war schon der erste Schritt zur Neuzeit mit ihrer Hinwendung zur Empirie hin.
Man brauchte eben ein Pendant zum aristotelischen "to on", das Seiende, na ja, und was es nicht gab, musste erfunden werden; dabei waren die Philosophen/Theologen keine Sprachgelehrten, so unterlief es ihnen, dass das vermeintliche PC "ens" gar nichts von dem Stamm "es-" enthielt, denn der Anlaut e- ist ja der Bindevokal, der s-e-ns verbinden sollte.
Allerdings liegt der gleiche Mangel schon im Griechischen vor: auch das "on" fängt ja mit dem Bindevokal an, bei Parmenides gibt es noch die eigentlich korrekte Form "to eon" (aus es-o-n).